Schon Platon und Aristoteles haben sich vor tausenden von Jahren damit rumgeschlagen: Die Kunst, Thesen ihre vermeintlich widersprüchlichen Antithesen gegenüber zu stellen und somit neue Erkenntnisse zu gewinnen, nennt sich Dialektik. In einem ausführlichen Diskurs werden diese Widersprüche in Einklang gebracht, um somit eine allgemein gültige Aussage zu generieren (Synthese).
Die Kunst der Dialektik sollte überall dort zum Einsatz gebracht werden, wo verschiedene Meinungen aufeinandertreffen und ein Kompromiss nicht sofort zur Hand ist. So zum Beispiel im Projektmanagement-Diskurs.
In diesem Beitrag geht es um Widersprüche. Es geht darum, wie agile Methoden (These) mit einem PMO als Instrument des klassischen Projektmanagements (Antithese) in Einklang gebracht werden können. Ein solch agiles PMO kann das Beste beider Welten in sich vereinen und ist ein Schritt in Richtung modernes Projektmanagement (Synthese).
Chancen und Perspektiven des agilen Projektmanagements
Minimale Bürokratie, flexible Regeln, adaptives Vorgehen. Diese Prinzipien haben das agile Projektmanagement vor allem in der Softwareentwicklung unverzichtbar gemacht.
Das agile Projektmanagement entstand als eine Art Gegenbewegung zu klassischen Projektmanagementansätzen. So thematisiert bspw. die CHAOS-Studie der Standish Group ungenügende Erfolge bei zu hohem Aufwand im klassischen Projektmanagement.
Laut dem agilen Manifest sind im Projekt Individuen und Interaktionen wichtiger als Prozesse und Werkzeuge. Dem Projekterfolg kommt mehr Bedeutung zu als umfassender Dokumentation, während Zusammenarbeit mit dem Kunden höher einzuschätzen ist als Vertragsverhandlung. Außerdem verspricht das Reagieren auf Veränderung laut dem agilen Manifest mehr Erfolg als das Befolgen eines Plans.
Die agile Denkweise und ihre Methoden haben ihre Daseinsberechtigung längst außerhalb der Softwareentwicklung unter Beweis gestellt und ihren Platz im Projektmanagement gefunden. Damit verbunden ist ein Wandlungsprozess, der alle Bereiche des klassischen Projektmanagements betrifft.
Agiles PM verändert die gesamte Unternehmenskultur
Die Transformation von klassischer zu agiler Praxis bedeutet jedoch nicht nur eine Veränderung der Handlungsweisen und Prozesse: Einher gehen soziales Umdenken und die Veränderung von Werten und Normen. Dieser Wandel betrifft also weit mehr als das Projektgeschäft eines Unternehmens, er verändert die gesamte Unternehmenskultur.
Agiles Projektmanagement kann das klassische nicht ersetzen, beide Methoden haben ihre Einsatzfelder, in denen sie jeweils von Vorteil sind. Es kann aber Horizonte erweitern und Möglichkeiten auftun: Insbesondere die flinke Kommunikation und die reaktionsschnellen Entscheidungsprozesse im agilen Projektmanagement ermöglichen es Unternehmen, sich schnell und flexibel an den Markt anzupassen.
Klassisches PMO im modernen Projektmanagement
Auch ein Project Management Office hat die Aufgabe, eine Anpassung an den Markt zu unterstützen. Das klassische PMO bildet eine Schnittstelle zwischen den verschiedenen Projekten eines Unternehmens, in dem die verschiedenen Fäden der einzelnen Projekte zusammenlaufen.
Durch die Analyse von Projektprozessen sollen strukturelle Schwachstellen erkannt werden, um somit die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Ein PMO bewahrt also den Überblick über die gesamte Projektlandschaft eines Unternehmens
PMOs haben außerdem die Aufgabe, Unternehmen bei der Entwicklung und optimalen Nutzung geeigneter Methoden und Werkzeuge für das Projektgeschäft zu unterstützen. Das PMO ist dabei jedoch weniger direkt in einzelne Projekte involviert, sondern agiert als externe Instanz.
Es ist also eine eher starre Institution, die das Projektportfolio eines Unternehmens durch standardisierte Prozesse optimiert. Effizienz entsteht hier durch Struktur und Routine.
In einem 2008 veröffentlichten Artikel „The Agile PMO Role“ legt die Autorin Tamara Sulaiman anschaulich dar, dass agile Teams über verschiedene Bereiche hinweg strukturiert und routiniert arbeiten. Es stellt sich also die Frage, wofür überhaupt noch ein PMO im Projekt benötigt wird?
Die Antwort hierauf findet sich in den Kernkompetenzen des PMOs: Den Überblick zu wahren, Strukturen zu erkennen, Standards zu etablieren. Agile Projektteams arbeiten zwar selbstorganisiert und selbstbestimmt, der Überblick über das große Ganze geht jedoch oft verloren.
Im modernen Projektmanagement, welches sich vor allem durch Flexibilität und Reaktionsfähigkeit auszeichnet, können jedoch auch PMOS agile Methoden nicht mehr ignorieren. Eine Anpassung ist erforderlich. Moderne PMOs müssen Antworten auf die Herausforderungen und Chancen des agilen Wandels finden
Aufgaben eines agilen PMO
Die Ansicht, dass PMO und Agile nicht vereinbar sind, basiert auf dem Stereotyp, dass ein PMO ausschließlich für Controlling und Top-Down-Projektmanagement stehen muss. Diese Ansicht ist jedoch falsch.
Wie bereits erwähnt, verfolgen PMOs und agile Projektteams zum Teil durchaus ähnliche Ziele. So wollen beide durch Adaption und Fehlerkorrektur eine optimale Anpassung an den Markt gewährleisten.
Um die Rolle eines PMOs im Agile zu verstehen, muss klargestellt werden, dass Projektmanagement nicht exklusiv klassisch oder exklusiv agil funktionieren muss. Vielmehr gibt es Zwischenformen zwischen rein planmäßigem und rein adaptivem Projektmanagement, die großartige Chancen bieten.
Coaching statt Controlling
In einem agilen Umfeld kommt dem PMO eher eine beratende als eine kontrollierende Rolle zu: Agile Prozesse sind für die meisten Projektmitarbeiter ungewohnt, das PMO kann hier wertvolle Unterstützung leisten.
Die Aufgabe des PMOs sollte zunächst sein, existierende Gewohnheiten in Frage stellen. In agilen Projekten fallen Mitarbeiter oft zurück in gewohnte Prozesse. Das PMO kann hier einhaken und vorantreiben. Außerdem ist es die Aufgabe des PMO, das Team daran zu erinnern, dass agiles Projektmanagement kontinuierliche Adaption bedeutet.
Auch agile Teams müssen sich häufig an Standards wie bestimmte ISO-Normen oder gesetzliche Regeln wie zum Beispiel den Datenschutz halten. Ein agiles PMO kann Teams dabei assistieren, indem es Projektmitarbeiter darauf aufmerksam macht, berät und eine allgemeine Anlaufstelle für Fragen bietet.
Standardisierung im agilen Umfeld
Agile Teams sind naturgemäß keine Fans von extern durchgesetzter Konsistenz. Oft ist Konsistenz jedoch von essentieller Bedeutung für Projektprozesse. Ein PMO kann dabei helfen, ein angemessenes Maß an Einheitlichkeit in den Teams zu schaffen. Das PMO assistiert hier insofern, als dass es gute Ideen und konstruktive Vorschläge schnell an alle Teams verteilt.
Eine generelle Standarisierung kann auch dann von Vorteil sein, wenn es um die Verteilung und Nutzung von Werkzeugen geht. Das PMO kann Teams dabei helfen, an die richtigen Tools zu gelangen, diese zu verstehen und nach den Bedürfnissen anzupassen.
Vermittlung und Koordinierung
Weil sie mit den Mitgliedern vieler verschiedener Teams zusammenarbeiten, sind PMOs essentiell für die Koordination einzelner Teams. Das PMO ist die erste Anlaufstelle, wenn die Arbeit zweier Teams sich überschneidet oder in gegensätzliche Richtungen geht. PMOs können hier wertvolle Dienste leisten, indem sie schnell davor warnen, wenn solche Situationen entstehen.
PMOs können auch von großer Hilfe sein, wenn es darum geht, mit externen Gruppen wie beispielsweise Human Resources oder Facilitymanagement zusammen zu arbeiten. Das PMO kann zum Beispiel aufzeigen, warum es eine schlechte Idee ist, ein Team über zwei Stockwerke zu verteilen oder Programmierer und Tester separat sitzen zu lassen.
Genau wie im klassischen PMO sammelt und analysiert das agile PMO Daten. Agile Teams sind noch mehr auf Statistiken angewiesen als klassische, sodass das PMO hier sehr gründlich arbeiten muss. Die erhobenen Daten zu bewerten, ist ebenfalls wichtig.
In einem agilen Projektumfeld wandelt sich die Rolle des PMOs also von einer administrativen Schaltzentrale zu einem flexiblen Dienstleister. Anstatt das Projekt extern zu verwalten, passt sich das PMO von innen an das Projektumfeld an. Dies erfordert eine deutlich stärkere Einbindung in die jeweiligen Projektprozesse.
Warum ein agiles PMO eigentlich eine Projektassistenz ist
Eine Instanz, die administrative Aufgaben im Projekt erledigt, Kommunikationswege verkürzt und Hierarchien abflacht, gibt es im klassischen Projektmanagement bereits. Diese ist jedoch weit weniger bekannt als das klassische PMO und wird in der Praxis häufig mit diesem verwechselt. Die Rede ist von professioneller Projektassistenz.
Die rechte Hand der Projektleitung wird zur rechten Hand des gesamten Teams
Die klassische Projektassistenz ist vor allem dafür verantwortlich, die Projektleitung in administrativen Aufgaben zu entlasten. Sie hilft bei der Projektplanung, der Projektverwaltung und bei der Projektführung. Die Aufgaben einer Projektassistenz variieren natürlich je nach Anforderungen des Projekts.
Eine Projektassistenz ist jeweils für genau ein Projekt zuständig. Sie untersteht direkt der Projektleitung und fungiert als deren rechte Hand. Außerdem bildet sie eine kommunikative Schnittstelle zwischen Projektleitung und -team. Sie sorgt dafür, dass Entscheidungen der Projektleitung durchgesetzt werden. Gleichzeitig verfolgt sie jedoch auch legitime Anliegen des Projektteams. Diese beidseitige Kommunikationsfunktion sorgt für mehr Vertrauen im Projekt.
In einem agilen Umfeld verschiebt sich die Rolle der Projektassistenz einfach etwas weiter in Richtung Dienstleister. Anstatt lediglich der Projektleitung zu assistieren, unterstützt sie die Projektteams, wo sie nur kann. Wie weiter oben beschrieben, vermittelt sie zwischen den einzelnen Teams, kommuniziert gute Praktiken und belebt den Austausch der Projektmitarbeiter.
In einem agilen Umfeld nähern sich also die Aufgaben eines PMO an die einer Projektassistenz an. Trotzdem gibt es viele Unterschiede zwischen PMO und Projektassistenz.
Fazit
PMO und Projektassistenz bleiben weiterhin Instrumente des klassischen Projektmanagements. Ein etwas flexiblerer Ansatz könnte den Nutzen dieser Tätigkeiten jedoch erweitern und neue Perspektiven ermöglichen. Anstatt strikter Vorausplanung könnte in Zukunft ein dynamischer Entscheidungsprozess zur Anwendung kommen.
Die PMOs könnten sich anstatt auf Controlling mehr auf ihre Assistenzfunktion besinnen und somit klassisches Projektmanagement agiler gestalten. Agiles Projektmanagement erfordert ein Umdenken der PMOs, ohne jedoch deren bewährtes Konzept obsolet zu machen.
Ich hoffe, ich konnte mit diesem Text aufzeigen, dass sich PMO und agiles Projektmanagement nicht zwangsläufig wiedersprechen. Vielmehr bietet eine Synthese beider Konzepte großartige Möglichkeiten, um die Vorteile von klassischem und agilem Projektmanagement zu vereinen.
Hallo Aaron,
ich fände gut, wenn der Begriff „umdenken“ mit einem (oder 2,3…) beispielhaften Ansatz des „wie umdenken“ näher beschrieben wäre.